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Wie ich sie seh « Redebeitrag
von Ralf Gablik zur Ausstellungseröffnung
Ein Gespenst geht um in der Kunstlandschaft; Computerkunst. Seit den 80er Jahren erobert die digitale Kunst in Form von Video-Installationen und Multimedialer Happenings die Ausstellungen und Kunst-Events. Dabei wurden Namen wie Sony fast zum Signum, zum Monogramm einer völlig neuen, bildschaffenden Welt. Legte Beuys in den 70er Jahren noch flux persönlich Hand an, wenn er mit totem Hasen rezitierte, so erlebten die kunstkundigen Besucher der Dokumenta 9 den ihren schon nur noch via Elektronenstrahl: Auf 50 Monitoren sang, grunzte, schrie sich Joseph Beuys zu den Klängen des Klaviers die Lungen aus dem Leibe - immer wieder von vorn beginnend, nie müde, wie die Werbung zum Samstagabend-Spielfilm. Was ist Kunst? Eine gewaltige Frage für einen so schönen Abend! Und doch: Fast unmerklich offenbart sich uns hier etwas, was an unverschämter Tragweite fast an die in Schweineblut badenden und ihre Körper zum Kunstobjekt machenden Protagonisten der Aktionskunst der 60er und 70er Jahre herankommt. Sie glauben es mir nicht? Ich gehe sogar noch weiter: Konnten jene den bis dato gängigen Kunstbegriff lediglich mit lautem Schrei zerreißen und tiefe Löcher der Provokation und Ratlosigkeit hinterlassen, so werden wir heute Abend erleben, wie ein anfänglich ebenso mitleidig belächeltes Bildnerisches Medium diese Leere zu füllen versteht. Als ich Mitte des letzten Jahrzehnts auf einer großen, internationalen Elektronikausstellung einer öffentlichen Vorführung des neuesten und leistungsstärksten Bildbearbeitungsprogramms beiwohnte, kam ich schnell zu der Erkenntnis: eine wunderbare Arbeitshilfe für Architekten, eine Erleichterung für Fotografen, ein ideales Werkzeug für Designer - aber für die bildende Kunst? Nein! Ein Computerspezialist führte durchs Programm: „Und der Computer kann dieses machen und er kann jenes.“ „Aber was kann ich machen?“ Die Antwort auf diese Frage folgte zum Ende des Vortrages: Kinderzeichnungen mit der Maus, statt mit dem Bleistift. Ausgemalt mit dem Sprühwerkzeug, statt mit dem Pinsel. Grob gerastert ausgedruckt, statt originaler Malgrund? Hilflose Linien von hilflosen Nutzern durch uninspirierte Programme gejagt, Effektangebote aneinandergereiht und im Ergebnis erbärmlich. Ich schüttelte den Kopf - hier werden bildnerische Mittel lediglich ersetzt. Das hat keine Zukunft. Ich irre mich manchmal gern. Besonders in einem Fall wie diesem. Ich irrte gewaltig, denn ich unterschätzte die ernsthafte Professionalität und den gierigen Hunger der Kunst nach unerforschtem Land; Das heute hier gezeigte Oeuvre des Aachener Künstlers Johannes Welter offenbart: Computerkunst ist eine erwachsene Kunstgattung geworden, ist ein gleichberechtigtes Bildnerisches Mittel - eines von vielen - gleichberechtigt mit dem Zeichnen, der Malerei, dem plastischen Arbeiten, der Graphik, dem Fotografieren, mit der Videokunst. Entscheidend ist
dabei nicht mehr die alte Frage: „Was kann der Computer?“, sondern Welters
konkrete Anforderung: „Was kann der Rechner von meinen Vorstellungen umsetzen?“ Um die Rolle des Rationalen noch nicht allzu früh zu verlieren: Objektiv gesehen hat es sich Johannes Welter zur Aufgabe gemacht, ihm von Freunden und Bekannten zugesandte Landschafts- und Portrait-Fotografien durch einen konstitutiven Arbeitsprozess von Planung, Zufall und Reflexion in Portraitlandschaften umzuformen, die in ihrer Bildabsicht augenscheinlich nichts mehr mit dem Bildnisursprung zu tun haben. Doch das ist weit gefehlt. Es offenbart sich am Ende ein Bildereignis, das mit dem/der Dargestellten des Ursprungs eng verknüpft bleibt. Und gerade bei der
Beschreibung der verwendeten Technik muss ich meinen festen Standpunkt
des scheinbar Objektiven verlassen: Wechselbad der Gefühle und Wechselbad
der Bildnerischen Mittel: mal der exakte kühle, fotografisch genaue Akt
der transparenten Digitalisierung von gegenständlichen Bildern (Portrait
und Landschaftsfotos), dann wieder - nach dem Ausdruck - der spontane,
direkte, unmittelbare und unvermittelte Materialauftrag mit Pinsel, Stift
und Spachtel, direkt auf die leuchtend druckfrische Farbe der Replik;
Die aufgebrachte Masse nimmt die Druckfarbe in sich auf, verändert sie,
und schafft so teilweise steuerbare, teilweise zufällige Überarbeitungen. Das Ergebnis ist
nicht Destruktion, sondern Konstruktion einer neuen, selbständigen Bildwelt,
die für sich selbst spricht und Gültigkeit um ihrer selbst willen hat;
das semantisch behaftete, das inhaltlich transportierende Bildzeichen
transformiert sich Schritt für Schritt, Schicht auf Schicht und Arbeitsvorgang
für Arbeitsvorgang zur Selbständigkeit. Das Zeichen um des Zeichens willen.
Durch die Adoleszenz der Arbeitsschichten hindurch wird ein Bild, das
nicht mehr abbildet sondern bildet: nach Zyklen der Abstraktion entsteht
ein neuer Gegenstand - um seiner selbst willen. - Stand zunächst die möglichst objektive, abbildhafte Darstellung, die Überlieferung der Physiognomie, die Darstellung gesellschaftlicher Ambitionen oder die Idealisierung einer Person im Mittelpunkt der (Auftraggeber-) Interessen - eng verknüpft mit dem Selbstverständnis des Künstlers als Handwerker - suchte die Moderne des beginnenden 20. Jhs. das Subjektive in der Wahrnehmung des Anderen. Der Erkenntnisgewinn war kritische Prüfung und künstlerische Umsetzung des Portraitierten als Ganzes: Das Selbst als Rolle, als Potential und als dynamischen Prozess. - Beeinflusst wurde diese Entwicklung von den sich ändernden geistigen und gesellschaftlichen Grundlagen des Künstlers und des Portraitierten. Dazu zählen Faktoren des historischen, geistigen und gesellschaftlichen Umfeldes, der Mentalität, und des wirtschaftlichen Standes. - Schließlich öffnete die Moderne mit ihren Experimenten und Entwicklungen zum Materialeinsatz und zur Befreiung von Farbe und Form den Weg zur praktischen Umsetzung immer anspruchsvollerer und vielschichtigerer Ansprüche an das Medium Bild. Hierin offenbart sich die ungeheure Chance, die Johannes Welter mit dem Einsatz der computerisierten Bildbearbeitung ergreift: Jeder Digitalisierungs- bzw. Scanvorgang bedeutet nicht nur Festhalten oder uneingeschränkte Verfügungsgewalt eines (Zwischen-)Zustandes, nicht nur Entpersönlichung eines manuellen Vorganges, nicht nur Schaffung eines völlig neuen Malgrundes zur Wiederaufnahme des Arbeitskreislaufes, sondern auch Abstandgewinnung zum eigenen bewussten Schaffen durch die automatisierte Bearbeitung festgelegter Veränderungsparameter innerhalb des elektronischen Gehirns. Somit steht der heute hier ausgestellte Künstler in allerbester Tradition des Genres: Im Umfeld des neuen Computerzeitalters des beginnenden 21. Jahrhunderts entwickelt er im Experiment ein Bildnerisches Mittel ernstzunehmend weiter und verschafft sich innerhalb seines Arbeitskreislaufes etwas, das bisher Zeit und innere Arbeit kostete: Notwendige Distanz zum nur bewusst Geschaffenen. Johannes Welter kann sich somit auch neben den Prozess stellen. Ergebnis ist ein neuer inhaltlicher Schwerpunkt. Der Betrachter und die Betrachterin hat die Möglichkeit, das hier entstandene „virtuhaptische Bild“ (von virtuell = vorgestellt und haptisch = anfassbar) nicht nur als exakte, umfangreiche und befriedigende Darstellung des Portraitierten, sondern ebenso als Beschreibung der Beziehung zwischen dem Dargestellten und dem Maler zu erfahren. Spielte dieser bisher in der Geschichte des Portraits nur eine untergeordnete Rolle, so ist es jetzt ein Fingerzeig in eine ausbaufähige Bildabsicht und Auslegungsrichtung. Fast
nebensächlich erscheint dabei die Frage nach Format und Größe. Das Medium
erlaubt auch hier das Experiment. Ohne dem unikaten Charakter zu schaden
können die Variablen erprobt werden. Die Formatentscheidung wird zum eigenständigen,
zusätzlichen Schaffensprozess, der so und in dieser Form bisher nicht
existierte. zurück
zu >die
Idee 4< |